Eine Aufarbeitung der Pop- und Rockmusik in Deutschland von 1950 - 1980

-- Uwe Wohlmacher

Nach dem Ende des II. Weltkrieges verdrängte die Notsituation der Bevölkerung eine eigenständige Beschäftigung mit Heranwachsenden. Erst mit den beginnenden fünfziger Jahren und dem Wirtschaftswunder entwickelten die Jugendlichen über die Kultur der Besatzungsmächte, vor allem natürlich der US-Kultur mit Kaugummi, Blue-Jeans und Jazz, wieder eigene Interessen. Kinofilme wie "Die Halbstarken" mit Horst Buchholz und Karin Baal lieferten, als Kopie amerikanischer Streifen mit Marlon Brando und James Dean, Vorbild Potential für aufsässiges Verhalten gegenüber der vermeintlichen Traumwelt, die sich die Erwachsenen nach dem Ende des NS-Regime aufgebaut hatten. Aber erst mit dem Rock'n Roll bekam die Jugendszene einen Soundtrack, mit den Jeans und Petticoats die Mode und mit Mopeds und Motorrädern Mobilität. 1958 war es endlich soweit: Mit einiger Verzögerung kam mit BILL HALEY der erste US-Rock'n Roll Star zu einer Kurztournee nach Deutschland. Für die Konzerte in Berlin, Mannheim und Hamburg wurde für das Vorprogramm sinnigerweise "DIE KURT EDELHAGEN BIG BAND" mit dem Jazzsänger BILL RAMSEY engagiert. Beide Bands wurden als Vertreter der "Moderne" angekündigt - doch die Jugendlichen pfiffen EDELHAGEN von der Bühne und demolierten die Bestuhlung, die Beleuchtung und einen Steinway-Flügel - Deutschland hatte seine ersten Rock-Krawall.

Die Öffentlichkeit reagierte entsetzt auf das Spektakel und der neue Sound wurde in der Presse als "Verführer der Jugend" verteufelt und die Jugendlichen als "Halbstarke" gebrandmarkt. Tatsächlich bedurfte es eines Paukenschlages damit Deutschland die Musik der Jugend überhaupt zur Kenntnis nahm. Die nostalgisch verklärten 50er Jahre waren nicht gerade der ideale Nährboden für eine neue Jugendkultur. Selbst als alle Welt schon "Rock Around The Clock" tanzte, schwofte man im Nachkriegsdeutschland noch zu Schlagern von Vico Torriani, Catarina Valente und Freddy. Clevere Produzenten unternahmen den Versuch beide Richtungen zu verbinden und den neuen Sound vorsichtig zu präsentieren. Heraus kamen entschärfte und verwässerte Rock'n Roll Schlager von PETER KRAUS, TED HEROLD und anderen. KRAUS und HEROLD wurden dennoch die ersten eigenen Popidole in Deutschland. PETER KRAUS wurde mit der Schlagersängerin CORNELIA FRÖBES erfolgreich zum Film-Traumpaar aufgebaut.

Die zweite Welle, die die Jugend der Zeit stark beeinflußte schwappte diesmal aus England herüber. Nachdem im Hamburger STAR-CLUB die BEATLES und viele andere britische Bands Lehrstunden in Sachen BEAT gegeben hatten, wurden auch in Deutschland die ersten Beat-Bands gegründet. Dabei war zuerst nur eine möglichst genaue Kopie der Originale gefragt. Im Gegensatz zu den Rock'n Roll Versuchen von KRAUS und HEROLD wurden die Texte nicht eingedeutscht, sondern englisch gesungen. Deutscher Gesang war in den 60ern verpönt und galt zu dieser Musik als nicht machbar. Die RATTLES, LORDS, GERMAN BONDS und RIVETS waren die populärsten Bands der frühen deutschen Beat-Szene, die RATTLES um ACHIM REICHEL wurden sogar in England als deutsches Gegenstück der BEATLES umjubelt.

Nach diesen Erfolgen schossen die Bands wie Pilze aus dem Boden, Beat-Clubs wurden eröffnet und sogar in den Schulen entstanden Probenräume. Das deutsche Fernsehen widmete dem neuen Phänomen mit dem BEAT-CLUB eine eigene Sendereihe. Die Zeit der Dorfmusik war damit, wie es schon auf dem Eröffnungsplakat des STAR-CLUBs hieß, endgültig vorbei. Der neue Sound hatte sich mit etwas Verspätung nun auch in Deutschland durchgesetzt. Doch die öffentliche Meinung beobachtete den Sound aus dem Rotlichtmilieu immer noch mit Skepsis. Die langhaarigen Musiker und ihre Fans galten als Verführer der Jugend. Die Bands hatten ihr Aussehen verändert, nicht mehr Leder und Entenschwanz-Frisur waren jetzt angesagt, sondern Beat-Frisuren, die Parkas und Rollkragenpullover der Mods, neben den Rockern in Großbritannien die zweite wichtige große Jugendgruppe. Ihre Anhänger fuhren Vespa, trugen Anzüge und hörten neben Beat auch schwarze Soulmusik. Auch bei uns in Deutschland fand dieser Trend viele Nachahmer. Zunehmend kam es in vielen Familien zum Konflikt mit den nun schon selbstbewusster auftretenden Jugendlichen, die sich anfangs noch unpolitisch gegen den Kleinbürger-Mief der Adenauer-Ära aufbegehrten. Durch die Pille veränderte sich auch die Einstellung zum Sex. Die Jugend begann sich von den bürgerlichen Konventionen zu befreien.

Die Studentenbewegung markiert einen Umbruch in der deutschen Nachkriegs-Kulturgeschichte. Neben der politischen Gesellschaftsveränderung widmete man sich auch der persönlichen Sinnsuche. Drogengeschwängert und auf der Suche nach alternativen Lebensformen begannen die Musiker mit zum Teil diffusen Soundexperimenten eine neue und eigene Musik zu finden. Die Münchener Gruppe Amon Düül II war in dieser Zeit, die wichtigste und experimentierfreudigste Band. Amon Düül ist auch der Begriff "Krautrock" zu verdanken, den die britische Presse aus einer Songzeile des DÜÜL Songs "Mama Düül And Her Sauerkrautband Start Up" zitierte. Fortan bezeichnete man im Ausland alles was an Popmusik aus Deutschland kam als "Krautrock". Was aber mit frischer Experimentalmusik begann, endete allzu oft in schwerblütigem und schwer verdaulichem wagnerianischem Sound von Gruppen wie Eloy, Wallenstein, Triumphirat, Jane u.a. Daneben entwickelte sich vor allem in Hamburger Clubs aus der späten Star-Club Szene eine mehr an Folk und Soul orientierte Musik, aus der erfolgreiche Bands und Musiker wie Udo Lindenberg, Ulla Meinecke und Inga Rumpf und ihre Bands Frumpy und Atlantis kamen. All diese Trends und Seitenentwicklungen werden mit ihren Protagonisten und ihrer Musik vorgestellt. Auch die Mode veränderte sich durch Einflüsse der Hippiebewegung. Die Haare wurden länger und Flohmarkt-Kleidung war der große Hit. Man saß in Studentenkneipen und diskutierte, hörte Krautrock, Jazz und Liedermacher.

Spätestens seit Ende der Sechziger Jahre verstand sich die deutsche Musikszene als "links von der Mitte". Einerseits hatte man eine "Message" und wollte verstanden werden, andererseits hatte man mit der deutschen Sprache in gesungener Form Probleme, weil deutscher Gesang durch die "Heidschi Bumbeidschi" Schlager der Fünfziger- und Sechziger-Jahre vorbelastet war. Die Frage war, ob Rockmusik und die deutsche Sprache überhaupt zusammenpaßten. Ein Teil der Szene ging dieser Problematik aus dem Weg und zog sich in sprachlose Sphärenmusik zurück (siehe Teil 5). Ein anderer Teil, Bands wie Ougenweide, Grobschnitt und Hölderlin griffen auf altes deutsches Liedgut des Mittelalters zurück. Sie verrockten Gedichte und Lieder der Bänkelsänger , konnten aber künstlerisch letztendlich nicht überzeugen. Andere, wie die Band IHRE KINDER aus Nürnberg, versuchten sich noch sehr unbeholfen an zeitgemäßer Sprache und konnten sich damit auch nicht durchsetzen. Rockmusik und deutscher Gesang schienen unvereinbar zu sein. Erst Udo Lindenberg gelang die Verbindung von Szenesprache und Rockmusik und wurde dadurch zum ersten deutsch singenden Rockstar, der eine ganze Generation von Musikern und wohl auch die Jugendszene allgemein beeinflusste. Aber erst im Laufe der achtziger Jahre überwogen die in deutsch gesungenen Produktionen und verschafften den Protagonisten im eigenen Land auch Verkaufsvorteile vor ihren englisch singenden Kollegen.

Ausgelöst durch die Studentenbewegung und Einflüsse vor allem der britischen progressiven Rockszene suchten viele Musiker nach neuen musikalischen Ausdrucksformen. Vor allem die an Konservatorien ausgebildeten Musikstudenten, folgten dem Kölner Avantgarde Komponisten Karl-Heinz Stockhausen, der nach Studien in Kalifornien mit der Komposition "Hymnen für elektronische und konkrete Klänge" einen neuen Weg anbot. Vor allem in Berlin, Köln und Düsseldorf fiel die Entwicklung des Amerikaners Robert A. Moog, der 1970 mit dem Mini Moog den ersten gebrauchsfähigen Synthesizer für die Rockmusik vorgestellt hatte, auf fruchtbaren Boden. Aus der Verbindung von Free Jazz, Rockmusik und dem neu entwickelten Instrumentarium entstand eine eigenständige Musikrichtung, die zudem der Problematik deutsch gesungener Texte durch rein instrumentalem Vortrag aus dem Weg ging. Mit dem Album "Alpha Centauri" der Berliner Gruppe TANGERINE DREAM begann 1970 eine neue Zeitrechnung für diesen von TD Gruppengründer Edgar Froese als "kosmischer Musik" bezeichneten Sound. Musiker und Gruppen wie KLAUS SCHULZE, ASH RA TEMPLE, KRAFTWERK, CLUSTER und MICHAEL HÖNIG folgten und gewannen auch im Ausland einen großen Fankreis. Einen besonderen Stellenwert nimmt die Kölner Gruppe CAN ein, die mit einer Musikmischung aus Free Jazz, Tonbandexperimenten und Avantgardeeinflüssen ihres Mentors Stockhausen überzeugen konnten und bis heute von vielen ausländischen Gruppen als wichtiger Einflussgeber genannt wird. Diese Koje stellt die Protagonisten der verschiedenen "Schulen" vor und zeigt die Verbindung der frühen "kosmischen Kuriere" zur heutigen Technoszene. Mit dieser Musikentwicklung zog sich ein nicht unerheblicher Teil der Jugend aus den Metropolen zurück und suchte im Landleben oder im Privaten eine Alternative. Dieser Teil der Jugend war nur bedingt politisch orientiert, wenn, dann zumindest nur im Lebensstil. Dabei war die Kommune, oder besser Wohngemeinschaft, der angesagte Wohnstil.

Die Siebziger Jahre waren für die deutsche Jugend- und Popmusikszene das Jahrzehnt der Selbstfindung. Etliche Stilrichtungen wurden ausprobiert um den Stellenwert der eigenen Szene im Vergleich zur internationalen Musikbranche zu finden. Soul, Folk, Disco, Jazz, Hard-Rock - alle Genres wurden vermischt und teilweise entstanden interessante Projekte. Bands wie LAKE, TRIUMPHIRAT, ATLANTIS, WONDERLAND, KRAAN, FAUST, RATTLES, die SCORPIONS, PASSPORT u.a. konnten sogar im Ausland beeindrucken. Den größten Erfolg verbuchte jedoch der Münchener Produzent GIORGIO MORODER, der mit einer Mischung aus elektronischer Musik, Schlager und Soul Mitbegründer des Disco Sounds war und mit Interpreten wie DONNA SUMMER, SILVER CONVENTION und MUNICH MUSIC MACHINE Welterfolge feierte. Produzent Frank Fahrian folgte diesem Rezept und feierte mit BONEY M. ebenfalls weltweit Hitparadenerfolge. Diese Szene hatte sich von politischen oder sozialkritischen Inhalten abgewendet und suchte ihr Glück in der Unterhaltung. Für diesen Teil der Jugend waren Mode, Musik und Fun die wichtigen Eckpunkte; die Diskothek der Treffpunkt.