Für die meisten Bands werden häufige Besetzungswechsel zum Stolperstein, aber "nicht so bei Embryo, die aus der Musikerfluktuation ein eigenes Konzept entwickelt hatten. Keine Gruppe kann ein vergleichbares Ehemaligen- verzeichnis aufweisen, wie die Münchner Weltmusikpioniere. Seit ihrer Gründung, Ende der 60er, gehörten der Formation über 400 MusikerInnen an" (KRAUTROCK), von Chris Karrer und Lothar Meid (Amon Düül) über Tri- lok Gurtu und Mal Waldron bis zu Nick McCarthy, dem Mitgründer der schottischen Indie-Rock-Band Franz Ferdinand.
Der Gründer Christian Burchard war bereits in den 60er Jahren als Jazzmusiker aktiv, war 1969 am Amon Düül II-Debüt 'Phallus Dei' beteiligt und trat mit mehreren Jazz-Gruppen auf, u.a. 1968 mit dem Mal Waldron-Quartett, bei dem auch Edgar Hofmann spielte. Außerhalb dieses Quartetts bildete Burchard mit Hofmann und Dieter Serfas (dr) ein Jazztrio und daraus entstand "Musik von intelligenten qualifizierten Musikern für intelligente und komplizierte Menschen" (SELBSTDARSTELLUNG), die Mitte 1969 in der Gruppe Embryo mündete. Der Kern von Embryo bestand aus Burchard, Hofmann, Meid. Im Spätsommer übernahm Ralph Fischer (b) den Posten von Lothar Meid, der später bei Passport, Amon Düül II u.v.a. auftauchte. Fischer war vorher als Bassist und Sänger aufgetreten und hatte mit Peter Michael Hamel (Between) gearbeitet. In der Vierer-Besetzung Buchard (jetzt als Schlagzeuger), Hofmann, Kelly und Fischer wurde im April 1970 das Debüt 'Opal' aufgenommen, ein "eigenwilliges Konglomerat aus Jazz, Rock, Blues und Soul" (SÜDDEUTSCHE ZEITUNG).
Im Sommer verließ Gitarrist Kelly die Gruppe und wurde durch den US-Amerikaner James 'Jimmy' Jackson (org) ersetzt. In dieser Viererbesetzung absolvierten Embryo im September den Auftritt beim Fehmarn-Fe- stival und spielten einen Monat später beim Pop/Blues-Festival in Essen. Zum Ende des Jahres ging Ralph Fischer in Richtung Xhol, und Embryo wurde mit Alfred Jones (g) und Hansi Fischer (fl, sax, voc, ex-Xhol Caravan) aufgestockt.
Mit dem Oud-Spieler Roman Bunka (b, ex-Missus Beastly) wurde mit 'Embryo's Rache' im Dierks Studio das zweite Album aufgenommen, mit dem die Gruppe "endgültig in die Spitze der deutschen elektronischen Rockmusik vorgestoßen war" (MUSIK EXPRESS). Hier "tummelten sich E-Geige, Mellotronteppiche, Percussion-Sessions, ein fetter Baß von Roman Bunka und Xhols Hansi Fischer an der Flöte wie ein Münchner Ian Anderson" (TIP). Da- nach wechselte Jackson zu Passport, Bunka machte sich solistisch und auch als Pionier der Weltmusik einen Namen und Hermann Breuer ging ebenfalls. Für die Ausgestiegenen kam Jörg Evers (g, b) als neuer Mitspieler. Diese Besetzung nahm den ersten Teil des späteren Albums 'Steig aus' auf und absolvierte 1971 diverse Festival-Auftritte.
Tausendfüssler // 5.30 // (Hansi Fischer)
CD 1 TRACK 7 k aus dem Album 'Embryo's Rache' (1971 • UNITED ARTISTS UAS 29 239 I) URBESETZUNG: Christian Burchard (dr, perc, vibr, tb, p) k
Edgar Hofmann (sax, v) k John Kelly (g) k Lothar Meid (b)
Anfang 1972 kam Siegfried Schwab (g, ex-Wolfgang Dauners Et Cetera) zu Embryo und ersetzte den ge- rade erst hinzugekommenen Evers. Als neue Bassisten-Allzweckwaffe fungierte Dave King. Im Frühjahr wurde der zweite Teil von 'Steig aus' aufgenommen und in der Besetzung Burchard, King, Evers, Schwab, Hofmann, Jackson und Mal Waldron (p) das Album 'Rocksession' eingespielt, das allerdings erst 18 Monate später erscheinen sollte. Ebenfalls in dieser Zeit wurden die Aufnahmen zum 72er Album 'Father, Son And Holy Ghost' abgeschlossen. Auf Einladung des Goethe-Instituts gingen Embryo im Frühjahr 1972 auf eine einmonatige Tournee durch Nordafrika und Portugal. Danach verließen Hofmann, Schwab, King und Hansi Fischer die Band und ließen Burchard mit Roman Bunka und Dieter Miekautsch (p, key, perc, ex- Missing Link) zurück. Im September traten Embryo auf der Kulturmeile der Olympischen Sommerspiele in München auf und beendeten die Aufnahmen zum dritten Teil von 'Steig aus'.
Ende des Jahres lernte das Trio den US-Saxofonisten Charlie Mariano kennen. Da Mariano "ähnlich wie wir Einflüsse und Spielpraktiken der ostasiatischen Musik mit einfließen lassen wollte" (BURCHARD), trafen sich die Musiker zu gemeinsamen Konzerten und einer Studio-Session, bei der über die "einzelnen, vorkonzipierten Themen frisch drauflos improvisiert wurde" (BURCHARD). Das Ergebnis war das 73er Album 'We Keep On', das "größere Spontanität und Frische auf der einen Seite und gelegentlichen Leerlauf und communication-breakdown auf der anderen Seite enthielt" (MUSIK EXPRESS).
Das 75er Embryo-Album 'Surfin' ließ "deutliche US-Soulspuren erkennen, die ein USA-Aufenthalt von Bunka und Burchard hinterlassen hatte" (ROCK IN DEUTSCHLAND). Für das 76er Album 'Bad Heads And Bad Cats' hatten sich Embryo mit der aus Ghana stammenden englischen Sängerin Maria Archer verstärkt. Die Platte ent- hielt "Jazz ohne Haschisch-Schwaden, die sonst durch manche andere Embryo-Scheibe zogen. Verspielt, aber doch kristallklar" (DER ABEND) und gehörte "zu den besten Embryo-LPs überhaupt" (BURCHARD).
'Live' war dann das erste Embryo-Album, das beim neu gegründeten "Schallplattenvertrieb der Musiker" erschien. Dieser Vertrieb war eine gemeinsame Initiative mit anderen Bands wie Missus Beastly, Ton Steine Scherben und Sparifankel. Da der Vertrieb im April 1976 gegründet worden war, wurde der Name "April" ausgewählt. Nach einem Einspruch des CBS-Konzerns wurde der Name von "April" in "Schneeball" geän- dert. Mit der Besetzung Müllrich, Burchard, Bunka, Ralph 'Butze' Fischer (dr, perc) und Michael Wehmeyer (key) nahmen Embryo in der Schweiz das nächste Album 'Apo Calypso' (1977) auf, bei dem auch einige Gesangsbänder von Bunka Verwendung fanden, die dieser in Indien vorgefertigt hatte. Embryo war im August 1978 auch beteiligt am 'Umsonst & Draußen-Festival' an der Porta Westfalica, das sich mit ca. 50.000 Besuchern als größtes Subkultur-Festival Deutschlands etablierte.
In der Besetzung Bunka, Müllrich, Burchard und Wehmeyer, "begleitet von Roadies, Frauen, Kindern, Auto- mechanikern, einem Clown, einem Maler und einem Film-Team" (ROCK IN DEUTSCHLAND), absolvierte die Gruppe im September eine längere Asien-Tour, die sie durch Griechenland, die Türkei, Iran, Afghanistan und In- dien führte. "Vorzüglich dokumentiert" (ROCK IN DEUTSCHLAND) wurde dies durch das Doppelalbum 'Embryo's Reise', das "einige der bisher profiliertesten Beispiele asiatisch-deutscher musikalischer Kooperationen enthielt" (NZ). Der dazugehörige (fast) zweistündige Reise-Film 'Vagabunden-Karawane' von Werner Penzel lief im Januar 1981 im ZDF.
Mitte 1979 kriselte es bei Embryo, und Roman Bunka veröffentlichte die LP 'Dein Kopf ist ein schlafendes Auto'. Aber im August standen Embryo beim jährlichen 'Umsonst & Draußen'-Festival wieder auf der Bühne. Als Gast war wieder Charlie Mariano mit dabei. Im Mai folgte eine Marokko-Reise mit sieben Konzertern, die vom Goethe-Institut unterstützt wurde. Ab Juni 1980 war Jay Zier der neue Gitarrist bei Embryo.
Ende des Jahres wurden die Differenzen innerhalb der Band so stark, daß "eine Zellteilung stattfand" (ROCK IN DEUTSCHLAND). Müllrich, Josh und Wehmeyer setzten sich als Embryo's Dissidenten (später Dissidenten) ab, während Burchard, der wieder zurückgekehrte Bunka, Hofmann, Zier, Ramesh Shottam (perc), Freddie Setz (dr, ex-Aera) und Gerald Luciano Hartwig (b, ex-Karthago) als Embryo weitermachten. Hartwig und Burchard zog es Anfang 1985 gemeinsam nach Nigeria, wo sie mit den bekanntesten Musikern des Landes spielten und das Material für das nächste Album 'Embryo & Yoruba Dun Dun Orchestra feat. Muraina Oyelami' sammelten. Die Band folgte auch einer Einladung von Fela Anikulapo Kuti († 1997) nach Lagos. Während einer weiteren Afrika-Reise nahmen Embryo in erweiterter Besetzung im nigerianischen Lagos das Album 'Africa' (1987) auf und zogen sich dann vorübergehend aus dem Plattengeschäft zurück.
Weitere Alben folgten dann z.T. unter Mitwirkung von Mal Waldron, Charlie Mariano und der No-Neck Blues Band. Im Juli 2008 wurde die Gruppe Embryo mit dem 'Deutschen Weltmusikpreis Ruth 2008' für das Lebenswerk ausgezeichnet.
Marja Burchard, die Tochter des Bandgründers war 1996 im Alter von elf Jahren erstmals bei Embryo in Erscheinung getreten – und hatte sich als Multiinstrumentalistin (Klavier, Akkordeon, Marimba, Vibrafon, Schlagzeug, Posaune, Orgel, Keyboard, Santur) bald einen festen Platz in der Band erspielt. Im Sommer 2016 hatte Christian Burchard im Alter von 70 Jahren einen Schlaganfall erlitten und war danach nicht mehr fähig aufzutreten. Daraufhin übernahm seine Tochter Marja die Leitung der Band und führte sie auch nach dem Tod Burchards am 17. Januar 2018 fort. Bassist Meid starb am 3. November 2015. Ralf 'Butze' Fischer starb am 3. Februar 2002.